Wann ist Recruiting erfolgreich?
Eine Frage, die sich wohl jede HR-Abteilung stellt. Zumindest hoffe ich das. Und eine wichtige Frage hinsichtlich des Wertbeitrages der Personalabteilung für die Organisation. Hier eine Anleitung, welche Antworten man liefern kann oder besser: müsste.
Stelle besetzt!
Eine Statistik, welche offenen Stellen besetzt werden konnten, ist schon irgendwie gut. Zeigt sie doch, wie fleißig die Recruiter waren. Aus drei Gründen ist sie aber als Kennzahl für Rekrutierungserfolg unzureichend:
- Kein Zielwert unter 100 Prozent
Welches Bild würde eine HR-Abteilung abliefern, wenn sie davon ausgeht, nur 90 oder 80 Prozent der offenen Stellen besetzen zu können? Im Grunde ist das nichts anderes als das Eingeständnis von Unfähigkeit. Darum gilt immer der Zielwert: 100 Prozent der offenen Stellen werden besetzt! Man könnte auch sagen: Das Recruiting ist zum Erfolg verdammt. So ist aber keine Steuerung möglich.
- Die Kennzahl „Stelle besetzt“ ist ein Zeichen für Quantität. Über Qualität sagt sie nichts.
Entspricht der eingestellte Kandidat den Erwartungen? Erfüllt er die Anforderungen an die Stelle? Mit einer Kennzahl über das zahlenmäßige Besetzen von Vakanzen kann keine Aussage über die Qualität der Besetzung getroffen werden.
- Wann ist der Recruitingprozess beendet?
Das Ende des Stellenbesetzungsprozesses ist entscheidend für die Bewertung des Erfolges. Darüber herrscht bei weitem nicht immer Einigkeit zwischen Geschäftsführung, Fachabteilungen und HR. So kann sowohl die Auswahl einer geeigneten Person, die Unterzeichnung des Arbeitsvertrages, der Dienstantritt oder die deutlich spätere Erfüllung der Anforderungen an die Position das erfolgreiche Ende des Recruitinprozesses sein. Richtig schlimm wird es, wenn sogar innerhalb der Personalabteilung darüber Uneinigkeit besteht. Wie dann messen?
Eine Kennzahl, die über das Besetzen der Stelle Auskunft gibt, kann also nur ein Anfang sein.
Stelle schnell besetzt!
Gerne wird die Besetzung einer Stelle mit der Zeit kombiniert: „Schaut her, wir haben die offene Stelle in nur 6 Monaten besetzt!“
6 Monate? Ja, lieber Leser, Sie lesen richtig. In vielen Personalabteilungen ist das die übliche Time To Hire. Es wird in Monaten, nicht in Tagen oder Wochen gerechnet. Offensichtlich ist man sich nicht bewusst:
Wer schneller rekrutiert, stellt erfolgreicher ein!
Egal wie die Time to Hire aussieht – diese Zahl ist „nur“ ein Indiz für Effizienz. Denn einen qualitativen Erfolg in der Stellenbesetzung kann sie nicht nachweisen.
Aber die Time To Hire ist dennoch eine gute Kennzahl für einen organisationsübergreifenden Benchmark und um zu belegen, dass die eigene Personalabteilung mit der Konkurrenz mithalten kann.
Anzahl an Bewerbern pro Stelle
Ich bin immer wieder überrascht, dass eine hohe Anzahl an Bewerbern als Kennzeichen für gute HR-Arbeit bejubelt wird. Im Umkehrschluss muss die Stellenanzeige nur möglichst pauschal und für alle Berufsgruppen offen sein, damit es Bewerbung herein spült. Und das soll gutes Personalmanagement sein?
Ist es nicht! Wenn überhaupt, ist die Anzahl der geeigneten Bewerber pro Stelle interessant. Dazu muss die Stellenanzeige zwischen passenden und nicht passenden Bewerbern selektieren. Genau das wär ein Indiz für gute HR-Arbeit.
Cost per Hire
Ist das Recruiting seine Kosten wert? Wertschöpfung und Preis werden mit dieser Frage in Beziehung gesetzt. Im Kern ist der Nachweis, die Personalgewinnung günstig erledigt zu haben, ein Zeichen für Effizienz.
Darüberhinaus ist der Preis von je her ein Indiz für Qualität. Das geht soweit, dass ein hoher Preis oft ohne weitere Prüfung als Qualitätskriterium gilt. Die Cost per Hire kann also auch ein Kennzeichen für qualitativ hochwertige Personalgewinnung sein. Der Preis dient als Benchmark zu anderen Abteilungen und Organisationen.
Für HR bedeutet dieser Umstand die Notwendigkeit, Preise für seine Dienstleistungen zu berechnen. Wer jetzt hörbar ausatmet, der sei an die Konzepte zum Shared Service oder Revenue Center erinnert. Das ist HR-Grundwissen, maximal 2. Semester.
Wir haben einen Preis gewonnen!
Gerne schmücken sich Personalabteilungen mit Siegeln, Preisen und Awards. Man sonnt sich als „Best Recruiter“, mit einem Preis für die schickste Anzeige oder den besten Messestand. Der Markt ist genauso groß wie unwissenschaftlich und intransparent.
Wen juckt das? Wird durch eine Auszeichnung der bessere Kandidat gewonnen oder sind die Recruiter damit effektiver? Diese Siegel, Titel und Preise sagen nichts, aber auch gar nichts über Recruitingerfolg aus. So sehr die Freude über die Verleihung nachvollziehbar ist, sie sind nur Bling Bling, Schall und Rauch.
Zwischenfazit
Die bisherigen und viele weitere Kennzahlen aus der Geschichte der HRM-Forschung zeigen: Die Messung von Effizienz ist schön und gut, bringt HR aber bei der Beantwortung nach dem Erfolg seiner Arbeit keinen Schritt weiter. Vielleicht ist das der Hauptgrund, warum sich viele Kennzahlen nicht durchgesetzt haben.
Einer Personalabteilung wird vielmehr dann Legitimität zugesprochen, wenn deren Ziele und Aktivitäten mit den Vorstellungen ihrer Anspruchsgruppen übereinstimmen. Gerade dann, wenn die Perspektive von Unternehmensleitung, Führungskräften, Mitarbeitern und Bewerbern eingenommen wird, ist es demnach möglich, den Nachweis für effektives und qualitativ hochwertiges Recruiting anzutreten. Spannend, dass dieser Ansatz auch heute noch nicht in allen Personalabteilungen angekommen ist.
Die strategischen Unternehmensziele werden erfüllt!
Wird die Unternehmensleitung als Kunde betrachtet, kann mit einer Kennzahl erfolgreiches Recruiting nachgewiesen werden: Die Umsetzung der Unternehmensstrategie, welche quantitative und qualitative Vorgaben für Neueinstellungen vorsieht, ist ein Erfolg, ausgedrückt in Prozentzahlen. Zwei Herausforderungen gilt es dafür zu bewältigen:
- Zum einen muss es eine Unternehmensstrategie geben. Studien zeigen immer wieder, dass das längst nicht überall der Fall ist. Es gibt keine klare Strategien oder sie sind dem Management nicht bekannt – gerade in der digitalen Transformation. Dann kann auch keine Zielerreichung gemessen werden.
- Zweitens muss die Unternehmensstrategie auf HR herunter gebrochen werden. Klingt logisch, macht HR nur zu wenig. Bei meinen Vorträgen bitte ich HRler immer wieder, ihre Personalstrategie in 2-3 Sätzen zusammenzufassen. Selten, dass das gelingt.
Insoweit bin ich bezüglich dieser Kennzahl eher skeptisch.
Die Fachabteilung ist mit dem Service zufrieden!
Führungskräften ist es wichtig, durch die Unterstützung der neuen Kollegen die gesetzten Ziele zu erreichen. Die Leistung der „Neuen“ wird damit zum Kriterium für gutes Recruiting. Eine Messung verlagert sich somit auf einen Zeitpunkt deutlich nach der Einstellung. Enttäuschungen hier sind ein Indiz für fehlerhafte Anforderungsprofile oder schlechte, invalide Auswahl. Beides sollte muss sich HR zurechnen lassen.
Niemand wird wirklich zufrieden sein, wenn zwar der passende Kandidat gefunden wird, die Kommunikation zwischen HR und Linienmanagement in den Fachabteilungen aber gruselig ist. Neben der Zufriedenheit mit dem Kandidaten auf lange Sicht ist die Zufriedenheit mit dem Personalgewinnungsprozess relevant für die Fachabteilung: Beratung, Erreichbarkeit, Reklamationsverhalten und Kundenbetreuung der Personalabteilung sind wichtige Kriterien für Kundenzufriedenheit und damit für die Bewertung eines Erfolges.
Die Zufriedenheit der Fachabteilung mit der Performance des Kandidaten und mit dem Recruitingprozess ist somit eine wichtige Kennzahl für erfolgreiche Personalgewinnung. Meiner Erfahrung nach wird aber die Prozessqualität in den wenigsten Unternehmen systematisch gemessen. Auch die Performancemessung von neuen Mitarbeitern findet noch zu selten statt.
Die Kollegen sind mit dem Neuen zufrieden!
Den Kollegen ist es wichtig, dass der neue Mitarbeiter ins Team passt (Stichwort: Cultural Fit). Bei diesem Ansatz geht es nicht nur um die Fachlichkeit, sondern um die Passung des Kandidaten zur Unternehmenskultur. Was nützt der fachlich versierteste Kandidat, wenn er das Team sprengt?
Daher bin ich ein Fan davon, dass Teammitglieder in einer späten Phase des Auswahlprozesses beteiligt werden. Beispielsweise können Sie ein (begründetes) Veto gegen Kandidaten einlegen.
Eine Erhebung der Zufriedenheit der Team-Mitglieder mit dem Recruitingergebnis kann die Zufriedenheit der Fachabteilung bzw. Führungskraft sehr gut ergänzen.
Die Kandidaten sind zufrieden!
Das Recruiting ist letztlich dann erfolgreich, wenn sich die Erwartungen des Bewerbers erfüllen und er zum Beispiel mit seiner Führungskraft gut auskommt. Schließlich ist letzteres einer der häufigsten Kündigungsgründe.
Mitarbeiter kommen wegen des Jobs,
bleiben wegen der Aufgabe
und gehen wegen der Führungskraft.
Mit einem Perspektivenwechsel zum Bewerber als Kunden ist damit dessen Zufriedenheit auf der neuen Stelle ein mögliches Ergebnis (Candidate Centric). Im seinem Beitrag skizziert mein lieber HR-Kollegen Michael Witt mögliche Konsequenzen einer Individualisierung des Recruiting aus Sicht der Bewerber.
HR sollte den neu gewonnen Mitarbeiter fragen: Haben sich die Erwartungen an Arbeitgeber, Aufgaben, Führungskraft und Team erfüllt? War die Stellenanzeige realistisch? Wie hoch ist die Motivation auf den neuen Job? Mehr noch: Auch abgelehnte Kandidaten sollten gefragt werden, wie zufrieden diese mit der Bewerbungsprozess durch HR sind.
Auf die Zufriedenheit zahlt auf jeden Fall ein Recruitingprozess auf Augenhöhe und ein gelungenes Onboarding ein.
Fazit
Im Ergebnis lassen sich drei Handlungsempfehlungen geben.
- Zunächst reicht es für erfolgreiches Recruiting nicht, Effizienz nachzuweisen. Bewerbungs- oder Besetzungsquote sowie die Time To Hire sind wichtig, reichen alleine aber nicht aus. Der Preis hilft da als Benchmark schon weiter, ist er doch per se ein Indiz für Qualität. Effektivität lässt sich so aber auch nicht messen.
- Die Zufriedenheit aller 4 Anspruchsgruppen – Unternehmensleitung, Linienmanagement, Mitarbeiter und Bewerber – ist zweitens der wichtigste Beleg für erfolgreiches Recruiting. Die Formel ist simpel:
Sind die Kunden zufrieden, hat HR einen guten Job gemacht.
- Drittens zählt ein qualitativ hochwertiger Prozess im Recruiting. Dieser ist Garant für die Zufriedenheit aller Anspruchsgruppen. Gerade Service-Kennzahlen messen Personalabteilungen zu wenig. Hier mangelt es an Selbstverständnis als professioneller HR-Dienstleister.
Dieser Beitrag ist die Langfassung meiner Antwort zur Frage nach Erfolg im Recruiting auf www.rekrutierungserfolg.de, die durch den Input von 7 Blogger-Kollegen ergänzt wird.
Jetzt seid ihr dran: Wer misst wie den Erfolg seines Recruitings? Ich freue mich über Ergänzungen!
Viele Grüße, Stefan Döring
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