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10 Gründe für den Mythos Fachkräftemangel

10 Gründe, warum der Fachkräftemangel ein Mythos ist.

Fachkräftemangel. Gibt es ihn oder gibt es ihn nicht?

Juristen würden vermutlich sagen, es kommt darauf an.

Gerade erst gibt es wieder einen Aufschrei im öffentlichem Dienst, dass ein Fachkräftemangel droht. Tausende Stellen können nicht besetzt werden. Und es fehlen tatsächlich Erzieher, Lehrer, Polizisten und Pfleger.  Da kann unser Minister Spahn noch so viele Stellen schaffen – die bleiben dann halt leer.

Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Gründe, warum ich mich auf meinen Vorträgen und Seminaren in der Regel festlege: Der Fachkräftemangel ist hausgemacht! So viel wird von den Organisationen nicht gemacht, ignoriert und falsch angepackt. „Fachkräftemangel“ zu rufen, scheint viel einfacher, als tatsächlich das Problem zu lösen. Die besten 10 Beispiele findet Ihr hier:

1. Nur nichts verändern!

Stellen können nicht besetzt werden und Auswirkungen sind spürbar. Was in den meisten Organisationen jetzt nicht passiert, ist die Ursachenforschung. Niemand fragt wirklich und vor allem ehrlich, warum Stellen unbesetzt bleiben.

Und selbst wenn man die Gründe kennt, dann verändert man nichts. Wird in der Pflege, in den kommunalen Kitas, bei der Lebensmittelüberwachung oder in der Logistik schlecht bezahlt, wird halt „Fachkräftemangel“ gerufen. Mehr Geld bezahlen, ist da für die meisten Organisationen nur die zweitbeste Idee.

Homeoffice? Abgelehnt. Da kann man ja die Leistung so schlecht überwachen. Weniger Überstunden, weniger Stress, Maßnahmen für ein besserer Betriebsklima? Lohnt nicht. Toxische Führungskräfte entfernen? Lieber nicht, die bringen Umsatz. Das Geschäftsmodell ökologischer machen? Wozu denn, wir haben doch eine zweite Erde.

Also doch nur das mit den bunten Fähnchen Personalmarketing! Aber keine Verbesserung, keine interne Änderung, keine Maßnahmen, um attraktiver zu werden. Nur nichts verändern!

2. Blinde Kuh

Hat man sich erst einmal für mehr Personalmarketing entschieden, muss es schnell gehen. Es müssen Ergebnisse her! Darum wird abgekürzt.

Vor einiger Zeit habe ich in einer größeren Organisation für einen Employer Branding Prozess gepitcht. In der Diskussion fragte ich unter anderem nach dem Zeitrahmen. „Wir wollen diesen Dezember mit den ersten Personalmarketingmaßnahmen starten.“ Es war September und ich habe abgelehnt.

So ist eine Analyse der Ist-Situation nicht möglich. Und ohne, wird Personalmarketing ein Blinde-Kuh-Spiel. Keine Konkurrenzanalyse, kein Stärken-Schwächen-Profil, keine Zielgruppendefinition, keine Fokusgruppen, keine Tests. Intern wird so auch niemand mitgenommen. Und es fehlt der Kompass. Man weiß nicht, wen man wo und womit sucht.

Die Arbeitgebermarke wird zum billigen Abklatsch von den immer selben Plattitüden. Kann man machen, aber unter Garantie nicht erfolgreich. Dafür extrem teuer.

3. Das bisschen Personalmarketing kann doch jeder

Es geht aber noch härter: Keine Zeit UND kein Geld. Personal im Recruiting wird genauso wenig aufgestockt, wie für das Personalmarketing jemand Kompetentes gesucht wird. „Das machen Sie einfach mit“. Na klar, das war ja immer schon die beste Idee, den Kollegen, die in der Regel eh schon überlastet sind, noch mehr Aufgaben aufzubrummen.

Neben der Überlastung ist die fehlende Zuständigkeit ein Problem. Jeder macht ein bisschen mit, alles geht durcheinander, eine Strategie fehlt.

Aber gerade die Kompetenz ist der Erfolgskiller: Personalmarketing kann nun einmal nicht jeder. Das ist definitiv nichts, was mal eben ganz selbstverständlich jeder gut managed. Manchmal mag ich die Leute an den Schultern nehmen, schütteln und rufen: So funktioniert das einfach nicht!

4. Wenn der erste Eindruck abschreckt

Viel Geld für Agenturen, teure Videos und massenhaft Give Aways. Aber die Basics stimmen nicht. Seit Jahren stelle ich bei meinen Kunden immer eine Frage: „Was ist Ihre Visitenkarte als Arbeitgeber?“. Inzwischen kommt sehr zuverlässig die Antwort: Stellenanzeigen und Karrierepage.

Und warum sind die dann nichtssagend und hässlich? Geschliffene Marketingtexte in vielzeiligen Schachtelsätzen, Aufzählungen der immer gleichen Plattitüden. Aber kein Einblick, nichts Konkretes und schon gar nicht Sympathie oder gar Humor. Es ist, als ob Stellenanzeigen und Karriereseiten „Seitenbacher“ brüllen.

Mit einem Klick ist der Kandidat weg … und kommt nicht wieder. Sie wissen, ja: Es gibt nur einen ersten Eindruck.

5. Weil Einstellung, Einstellungssache ist.

Eine Bewerbung muss abgegeben werden. Am besten detailreich in grauenhafte Formulare. Zum Termin muss man vor Ort erscheinen und hat sich mit Infos zur Organisation versorgt zu haben. Dort muss man sich vorstellen (wehe, wenn das zu lange dauert!) und soll seine Motivation darlegen. Der gesamte Bewerbungsprozess ist darauf ausgerichtet, dass die Kandidaten etwas tun. Und zwar immer genau dann, wenn HR etwas braucht.

Haben wir das mit dem „Fachkräftemangel“ da nicht falsch verstanden? Warum haben Recruiter keine Bahncard 100 oder einen Dienstwagen und führen das erste Gespräch am Wohnort der Kandidaten? Wieso wird der Termin mit dem Kandidaten nicht abgestimmt, statt mitgeteilt? Warum kombinieren wir Gespräche vor Ort nicht mit Besuch von Schulen, Wohnungsbesichtigungen und Ausflügen für die ganze Familie?

Weil die Einstellung nicht stimmt. Immer noch herrscht in Organisationen und leider in vielen Personalabteilungen zu viel Arroganz. „Sei doch froh, dich bewerben zu dürfen!“

Ich war vor kurzem in einem HR-Büro eines größeren Mittelständlers. Mein Gesprächspartner ging kurz raus und ich machte Smalltalk mit den beiden HR-Kolleginnen. Zumindest habe ich es versucht. So werde ich wirklich selten von oben herab behandelt. Ok, sie wussten nicht, wer ich war und warum ich in diesem Büro stand. Aber spielt das eine Rolle? Ich hätte Bewerber, Mitarbeiter oder auch Kunde oder Lieferant sein können. Und in jeder Rolle hätte sich aus meinem Umfeld sicher niemand hier beworben. Es ist leider kein Einzelfall – gerade im Personalmanagement. Solange HR sich seiner Rolle als Dienstleister nicht bewusst wird, können wir das mit dem Personalmarketing vergessen.

6. Markenbotschafter? Verboten!

Fehler passieren. Ob die Organisation dazu schweigt oder nicht, es wird darüber geredet. Warum also schweigen? Weil in den Organisationen die Regel herrscht: Lieber gar nichts sagen, als angreifbar zu sein. Viel wäre geholfen, wenn sich statt dessen jemand hinstellt und sagt: „Wir haben einen Fehler gemacht. Entschuldigung“. Macht nur keiner. Und wenn doch, dann zu spät. Schnell ist so das mit hundert tausenden Euros finanzierte Personalmarketing zerstört.

Ein anderer Aspekt: Jede Organisation kann sich glücklich schätzen, wenn Mitarbeiter von sich heraus beginnen, den eigenen Arbeitgeber im Netz zu vermarkten oder zu verteidigen. Wenn dann diese Kollegen noch Reichweite haben, nennt man das Markenbotschafter. Das ist super, weil es authentisch ist und man den Menschen die Botschaften viel eher abnimmt. Kosten tut das „nur“ Wertschätzung.

Verboten! Ich kenne so viele Organisationen, die solche Mitarbeiter zum Rapport bestellen und sie anweisen, zu schweigen. Es herrscht Angst, dass die auch mal einen Fehler in der Kommunikation machen. Also bitte schön nur über offizielle Kanäle und nur Content, der mindestens von 59 Hierarchiestufen abgesegnet wurde. Gleichzeitig wird aber zu Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programmen aufgerufen. So funktioniert weder Social Media noch gutes Personalmarketing.

7. Was juckt mich die Arbeitgebermarke?

Die Marke ist beschrieben und intern kommuniziert. Die Mitarbeiter sind auf die Werte eingeschworen (und damit durchaus einverstanden), Broschüren und Plakate sind gedruckt, die Webseite aktualisiert, die Beurteilungssysteme angepasst.

Dann passiert es: Ein herabwürdigender Spruch in Bezug auf die Arbeitszeiterfordernisse eines alleinerziehenden Mitarbeiters oder das Zusammenfalten eines Kollegen vor anderen. Eine hohe Führungskraft verstößt eklatant gegen die Grundsätze des Arbeitgebers.

Solche Fehler sind sicherlich nicht normal und dürften nicht passieren. Tun sie aber. Wir sind alle Menschen. Viel wichtiger ist die Reaktion der Organisation. Und da wird es spannend: Passiert das einem „normalen“ Mitarbeiter wird er sehr deutlich an die Werte erinnert. Passiert es einem Manager, der nun weit genug oben sitzt, erfolgt keine Reaktion. Null. Nichts. Keine Entschuldigung, kein Gespräch, keine Zurechtweisung, keine Konsequenz. Andere Führungskräfte machen dann so weiter. Scheint ja schließlich von oben legitimiert. Vorbildfunktion und so.

Schon ist die ganze Arbeit des internen Personalmarketings für die Katz. Und das spricht sich rum. Wer seine Marke nicht mit aller Konsequenz lebt, wird unglaubwürdig. Nur schöner Schein.

8. Wir melden uns. Morgen. Vielleicht.

Das Personalmarketing funktioniert. Kandidaten rufen an, Bewerbungen gehen ein. Ziel erreicht? Nein, denn das Ziel ist, Einstellungen zu vollziehen und Fluktuation zu verringern. Es gilt also schnell zu sein und die Leads zu betreuen.

Die Realität sieht anders aus: Bewerber sitzen in der Warteschleife, es gibt gerade keine Stellen, es dauert noch bis DIE EINE Führungskraft Zeit für ein Gespräch hat, die Personalvertretung hat ihre Fristen. Besser kann man Aufwendungen für Personalmarketing nicht verschwenden.

Arbeitsverträge kann man noch auf der Karrieremesse abschließen. Ich selbst kenne ein Landratsamt, die schaffen es in 14 Tagen von Bewerbungseingang bis Zusage. Das klappt, weil Marketing, Sourcing und Recruiting Hand in Hand arbeiten. Führungskräfte und Personalvertretung müssen ihren Teil beitragen.

9. Wer gehen will, geht.

Ein Mitarbeiter sucht das Gespräch und berichtet über ein anderes Job-Angebot. Reaktion: „Na dann geh doch!“ Viele Organisationen reagieren beleidigt. Es wird nicht einmal versucht, den Kollegen zu halten. Der Abschied ist dann kurz und extrem kalt.

Das beste Recruiting ist Personalerhalt. Es gibt so viele Möglichkeiten. Auch kleine Angebote können zum Bleiben motivieren. Wichtig ist vor allem Wertschätzung! Und selbst wenn er geht: Der Kollege könnte später einmal wiederkommen. Oder er erzählt seinem Umfeld (und den neuen Kollegen), wie toll der letzte Arbeitgeber war.  Solange auf Personalerhalt kein Schwerpunkt gelegt wird, kann es mit dem Fachkräftemangel nicht soweit sein.

10. Aber da gibt es doch bestimmt noch jemanden Besseren!

Der letzte meiner 10 Gründe, warum Fachkräftemangel ein Mythos ist, ist die dauernde Unzufriedenheit mit dem, was man hat oder haben könnte. Das sieht man oft bereits in Anforderungen der Stellenausschreibung: Ein Studium, wo Erfahrung reichen würde. Jahrelange Erfahrung, wo ein Berufseinsteiger sich einarbeiten kann.

Aber auch vor und nach der Anzeige geht es munter weiter: „Intern haben wir da sowieso niemanden“, „Lieber keine Frau“, „Der Name klingt nach Migrationshintergrund“, „Ist die/der nicht zu alt?“. Es wird diskriminiert und abgelehnt. Nichts wagen, nichts ausprobieren, nicht mit 70% zufrieden sein und den Rest schulen.

Solange so rekrutiert wird, bleibe ich dabei: Den Fachkräftemangel gibt es nicht! Habt Ihr weitere Beispiele? Dann her damit!

3 Gedanken zu „10 Gründe, warum der Fachkräftemangel ein Mythos ist.“

  1. Hallo Stefan,
    stimmt leider alles, auch wenn nur selten alles gleichzeitig zutrifft.
    Das Problem ist, dass schon ein oder zwei der Kriterien dazu führen, den Fachkräftemangel als Firma nicht zu überleben.
    HR wird zunehmend Mission Critical.
    UND: Unternehmer und Führungskräfte haben die HR-Mitarbeiter, die sie verdienen. Letztendlich müssen sie von oben aufräumen, gerade im HR, das als „Admin-Stabsstelle“ sonst nicht zu greifen ist.
    Hiring-Manager suchen sich bereits andere Optionen, weshalb Consulting und Freelancer so stark wächst.
    Solange HR nur Mitarbeiter und nicht Workforce verantwortet, wird sich da nix ändern.
    Gruss
    Thomas

  2. Lieber Stefan,

    top top top!! Da hast Du alles drin. Und Du hast sooo Recht. Auch wenn ich den tatsächlichen Fachkräftemangel (in der IT) jeden Tag deutlich spüre. Denn die Jungs & Mädels haben alle einen Job! Und wollen größtenteils nicht wechseln. Aber alle von Dir genannten Gründe / Umstände kenne ich genauso. Und die verschärfen das ganze noch um einiges. Denn wenn dann doch mal jemand wechseln will (und das kommt immer wieder vor), dann passieren ihm/ihr genau die von Dir geschilderten Umstände. Da müssen wir alle wirklich noch hart dran arbeiten.

    Herzlichen Gruß,
    Henrik

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