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Fachkräftemangel hausgemacht

Warum der Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst hausgemacht ist

Wie sehr betrifft den öffentlichen Dienst der Fachkräftemangel?

Eine spannende Frage angesichts der zahlreichen Berichte bezüglich mangelnden Personals bei Erziehungsberufen, Lehrern, im Gesundheitsdienst und zunehmend in der klassischen Verwaltung.

Im Rahmen meines Impulses auf der Session „Nachwuchs- und Fachkräftegewinnung mit Interamt: Recruiting zielgruppengerecht und effizient steuern“ des KGSt-Forums in Kassel am 19. September 2017 nutzte ich die Gelegenheit, Personaler und Führungskräfte des öffentlichen Dienstes direkt zu fragen.

Angesichts deren Antwort stellte ich dann folgende provokante These auf …

Der Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst ist hausgemacht!

… und belegte dies mit Argumenten:

Die gleiche Frage, dreimal gestellt

Zum einen wurde die Frage in der App zum KGST-Forum gestellt. Zweitens habe ich während meines Impulses vor knapp 350 Vertretern des öffentlichen Dienst um Handzeichen gebeten. Das Ergebnis war eindeutig:

90 Prozent der Behörden haben Fachkräftemangel.

Auch über Twitter habe ich auf meine Befragung ein ähnliches Ergebnis erhalten. Dahingehend ist wieder einmal auffallend, dass nur ein Bruchteil der „2.555 Oberbürgermeister, Bürgermeister, Landräte und weitere Spitzenkräfte“ (Quelle: KGSt) twittern, bloggen oder zumindest mitlesen. Auf dem 3tägigen KGST-Forum waren es nur gut 155 Twitterer.

Twitter-Auswertung #KGSt17
Twitter-Auswertung #KGSt17, Tool: www.tweetbinder.com

 

Erstes Argument für meine These war ein Blick auf die üblichen Maßnahmen, die Arbeitgeber gerne ergreifen, wenn sie Stellen nicht besetzen können:

  • Mehr Reichweite
  • Vorteile als Arbeitgeber herausstellen
  • Social Media

Wenn „mehr Reichweite“ einfach zu wenig ist

Im Grunde bedeutet „mehr Reichweite“ nichts anderes als „öfter“ und „noch mehr Kanäle“. Im Ergebnis wird damit viel Geld ausgegeben und es kommen sicherlich auch mehr Bewerber.

Aber sind das die Richtigen? Leider nein. Statt dessen sinkt der Anteil der geeigneten Bewerber am Gesamtaufkommen. Man könnte auch sagen, Personalgewinnung wird „mit Kanonen auf Spatzen schießen“ betrieben.

Wenn „Teilzeit“ alle bieten

Arbeitgeberleistungen deutlicher herausstellen? Ja, unbedingt! Denn der öffentliche Dienst hat viel zu bieten.

Gerne werden nun die etablierten Modelle für die Work-Life-Balance zitiert. Für die Abgrenzung zur Wirtschaft mag das ein Argument sein. Aber was ist innerhalb des öffentlichen Dienstes? Antworten darauf, was die eine Behörde von der anderen unterscheidet, fehlen.

„Facebook“ ist kein Ziel!

Reflexhaft werden Aktivitäten in den sozialen Medien gestartet. Facebook, Twitter, Instagram oder Snapchat? Diese Frage ist im Grunde falsch. Die statt dessen angezeigte strategische Analyse von Zielgruppe, Message im Sinne von Angebot und Zweck des Auftritts findet nur selten statt.

Die Folge sind die leider immer öfter von Unternehmen abgesetzten Posts auf Instagram, die 1:1 auf Twitter oder Facebook geteilt werden. Das ist dann so, als ob man gestandene Führungskräfte mit Werbebotschaften für Schüler ködern will: an der Zielgruppe vorbei.

Noch öfter geschieht ein reines Plakatieren von Botschaften auf den sozialen Kanälen – ohne jede Kommunikation. Dies widerspricht dem „social“ in social media grundsätzlich.

„Schüler“ sind keine Zielgruppe

Apropos Zielgruppe. Die wird weithin unterschätzt. Eine Einteilung in „Schüler“, „Fachkräfte“ und „Absolventen“ ist viel zu grob. So wie es nicht DEN Beamten gibt, gibt es auch nicht DEN Schüler. Hier bedarf es der Differenzierung.

Je konkreter die Zielgruppe, um so genauer kann die Ansprache im Personalmarketing und in Stellenausschreibungen zugeschnitten werden. Ausschreibungskanäle werden dann nicht nach „Reichweite“, sondern nach möglichst konkreter Erreichung der gesuchten Zielgruppe ausgewählt. Das passiert aktuell leider noch zu wenig und stützt daher meine These.

Der „Sachbearbeiter“ hat ausgedient

Drittens kopieren Behörden für den Titel ihrer Stellenanzeigen die Bezeichnungen aus Stellenplan und Arbeitsplatzbeschreibung. Ist ja auch so schön einfach.

Stefan Döring auf dem KGSt-Forum
Stefan Döring auf dem KGSt-Forum 2017, Quelle: KGSt

Stellenplan und Arbeitsplatzbeschreibung strukturieren Aufgaben, sorgen für genügend Personalausstattung und ermöglichen die Eingruppierung. Stellenanzeigen haben dagegen den Auftrag, Interesse an den Aufgaben zu wecken. Das ist ein großer Unterschied! Also weniger Copy & Paste, mehr zielgruppengerechte Botschaften.

Natürlich gibt es auch Portale, da funktionieren „Sachgebietsleiter“ oder „Einrichtungsleitung“ gut. Aber nur dort, wo Bewerber aus dem öffentlichen Dienstes anzutreffen sind.

Bereits vor etlichen Jahren habe ich dazu mit den großen Onlinestellenbörsen gesprochen. Ohne Erfolg. Der öffentliche Dienst schien nicht wichtig genug. Heute hat sich Interamt als Kanal für Behörden und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes gut positioniert.

Karriereseite wird überbewertet

Viertes Argument meiner These: Das wirklich gut gelungene Verstecken der Karriereseiten auf den Internetauftritten der Behörden.

Da macht man es den über 90% der Bewerber, die sich gerne informieren möchten, erfolgreich möglichst schwer.

Augenhöhe und Wertschätzung

Fachkräftemangel hausgemachtLetztes Argument ist die Bewerberkommunikation. Leider werden Eingangsbestätigung, Einladung und Absage im Stil eines Bescheides formuliert. Wertschätzung sieht anders aus.

Auch hier frage ich, warum ist das so? Die Antwort besteht aus 2 Wörtern, wobei das erste aus 3 Buchstaben besteht: „AGG und Konkurrenztenklage“. Nur finde ich dort kein Passus, dass man nicht mit Respekt und auf Augenhöhe „Danke!“ sagen darf.

Mindset

Natürlich gibt es tatsächlich einen Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst – und sei es nur aufgrund gesetzlicher Vorgaben, die keine Rücksicht auf tatsächliche Ausbildungs- oder Studienzahlen der dafür notwendigen Fachkräfte nehmen. Dennoch ist meine These nicht von der Hand zu weisen. Die in diesem Beitrag beschriebenen Hürden müssen dringend abgebaut werden.

In Zeiten des Fachkräftemangels sind damit rechtssichere Personalgewinnungsverfahren allein für erfolgreiche Personalarbeit im öffentlichen Dienst nicht mehr ausreichend.

Ich bin überzeugt, das die Personalabteilungen in den Behörden das besser können. Mein Eindruck ist, dass es nicht selten am richtigen Mindset mangelt. Noch zu oft herrscht die unbewusste Haltung vor, dass der Bewerber sich glücklich schätzen darf, sich bewerben zu dürfen. Daher:

Einstellung ist Einstellungssache

Die Folien meines Impulses finden Sie auf Slideshare.

Gerne unterstütze ich Sie dabei, Ihre Personalgewinnung für mehr passende Bewerber zu optimieren. Sprechen Sie mich einfach an!

Schöne Grüße, Stefan Döring

7 Gedanken zu „Warum der Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst hausgemacht ist“

  1. Update 11/2021

    Ich verfüge als 58jährige über einen fast lückenlosen Berufslebenslauf in der Verwaltung, dazu mit 3 abgeschlossenen Berufsausbildungen. 2017/2018 war ich dennoch länger stellenlos und habe mich damals im öffentlichen Dienst in Berlin beworben. Ich habe zuvor viele Jahre auch im öffentlichen Dienst gearbeitet. Ich habe auf alle meine Bewerbungen keine Antwort erhalten. Mein gesamter Freundeskreis in Berlin arbeitet im öffentlichen Dienst, keiner konnte mir eine Anstellung vermitteln, weil in deren Dienststellen sogar noch Stellen abgebaut und die Arbeit auf die verbliebenen Kollegen/innen verteilt wurden. Davon wird natürlich in den Medien nicht berichtet. Wenn Einstellungen vorgenommen werden, dann wurden und werden nur sehr junge Menschen zu schlechten Konditionen eingestellt. Aber diese jungen Menschen, ohne Berufserfahrung sind noch keine Fachkräfte.

    Im Frühjahr 2018 hatte ich bei einer Fortbildung im Verwaltungsbereich viele jüngere studierte Frauen mit Ausbildung in der Verwaltung kennengelernt. Viele waren durch Familienarbeit, Krankheit, oder Pflege der Eltern aus dem Berufsleben raus und suchten dringend eine neue Anstellung. Sie waren hoch ausgebildet, inzwischen vielfältig fortgebildet und hoch motiviert. Aus meinem Kurs war ich mit einer jungen Frau die Einzigen, die relativ zeitnah nach dem Ende der Fortbildung einen unbefristete Anstellung im öffentlichen Dienst finden konnten. Bei mir war es mehr Glück und Zufall. Bei diesem Arbeitgeber bin ich heute noch angestellt. Das war auch der einzige Arbeitgeber, wo sehr großen Wert auf einen professionellen Bewerbungsprozess gelegt wurde und immer noch gelegt wird. Für diese Stelle wurde gezielt eine ältere Mitarbeiterin gesucht, die viel Berufs-und Lebenserfahrung mitbrachte und auch nicht mehr schwanger werden kann. Ich arbeite u.A. im Personalbereich und erfahre auch einiges, leider oft negatives, von den Bewerbern, wie andere Arbeitgeber, oft aus dem öffentlichen Bereich, mit Bewerbern umgehen, heute noch.

    In 2019 erhielt ich eine Anfrage von meinem damaligen Fortbildungsinstitut, wie es denn bei mir bezüglich meiner Anstellung aussehe würde (Statistik). Nach meiner Rückfrage, wieviele meiner ehem. Fortbildungs-Kolleginnen denn eine unbefristete Stelle erhalten haben, erhielt ich die Auskunft, dass leider nur wenige eine dauerhafte Stelle im öffentlichen Dienst gefunden haben. Wie kann das sein, wenn der öffentliche Dienst händeringend Verwaltungsfachkräfte, sogar Quereinsteiger, sucht?

    Wenn ich alles zusammennehme, glaube ich nicht an den angeblichen Fachkräftemangel in der Verwaltung im öffentlichen Dienst. Ich vermute, um das Jahre lange, eigentlich Jahrzehntelanges Missmanagement zu verschleiern, wird inzwischen der Fachkräftemangel behauptet, wenn man genau hinschaut, der so nicht stimmen kann. Mein Freundeskreis, der im öffentlichen Dienst arbeitet, erzählt wenig von Neueinstellungen, erst recht nicht von älteren, erfahrenen Verwaltungsfachkräften. Ich weis aber, dass es diese ausreichend im Arbeitslosenpool gibt.

    Wenn dann nur in speziellen Bereichen wie im IT-Bereich und ältere Stellensuchende haben so gut wie keine Chance, obwohl die oft noch mindestens 15 Berufsjahre leisten können, wollen und sehr wohl Fachkräfte sind, weil sie über wesentlich mehr Berufs- und Lebenserfahrung verfügen, als die jungen Menschen, die gerade ihre Berufsausbildung abgeschlossen haben.

  2. Ich bin ausgebildeter Fachinformatiker für Systemintegration. Inzwischen habe ich es mir abgewöhnt, noch Bewerbungen auf Stellangebote im öffentlichen Dienst zu schreiben. Ganz einfach deswegen, weil Tätigkeitsbeschreibung und gewünschtes Profil des Bewerbers in praktisch allen Fällen weit auseinandergehen. Als jemand, der fachlich geeinet ist, aber kein Studium vorweisen kann,fällt man das fast immer hinten runter, man erhält nicht mal eine Chance zur persönlichen Vorstellung. Überspitzt ausgedrückt ist das,was Behörden da machen, so, als ob ein Taxiunternehmen zwar Taxifahrer sucht,aber nur Formel1-Rennfahrer einstellen will.

  3. Ich bin selbst betroffen. Ich hatte eine Elternzeitvertretung (1,5 Jahre) im Rechnungsprüfungsamt einer Stadt (250.000 Einwohner) übernommen. In mich wurden tausende Euro an Weiterbildung investiert. Von Haus aus Betriebswirtin mit praktischen Erfahrungen in Förderinstituten und in der Erwachsenenbildung. Bin 47, die drei Kinder erwachsen, also unabhängig und nicht krank.
    Im Sommer lief der Vertrag aus. Mehrere Nachfragen im Personalamt liefen darauf hinaus, dass ich wieder nur eine befristete Stelle bekommen hätte. Und dann noch in irgendeinem Amt versauert wäre. Ich durfte mich auch nur im letzten Vierteljahr weiter bewerben. Aber fett jemand eingestellt, der sich ums Personalmanagement kümmert. Das war mir zu blöd. Hab mein schönes Arbeitszeugnis geschnappt und bin jetzt im Ministerium. Verwaltung als Sprungbrett, aber ist das gewollt?
    Ich find es prima, dass Sie dies thematisieren. Machen die Verwaltungen so weiter, dann wird es echt zum Problem.

  4. Hallo Stefan,
    eine zutreffende These und saubere Analyse zum Thema. Glückwunsch! Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten, dass Deine Ausführungen nicht nur für den öffentlichen Dienst gelten. Viele weitere Branchen agieren genauso. Es gibt also eine Menge zu tun. Ein Ansatzpunkt, den Du bereits nennst: Die HR-Welt sollte mehr Blogs lesen. In diesem Sinne, lass sie uns getreu Deinem Motto „Leading HR“ in diese Richtung führen.
    Beste Grüße aus Nürnberg
    Stefan (noch einer 😉

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