Wie sieht Führung in der Arbeitswelt 4.0 aus? Welche Werte machen „Gute Führung“ aus? Und sind die aktuell gehypten Konzepte nicht nur alter Wein in neuen Schläuchen?
Auf dem 2. Regensburger Scientific Leadership Day gab es darauf Antworten.
Seit langer Zeit habe ich wieder einmal einen Kongress zum Thema Führung besucht. Am 13. November war ich auf dem 2. Regensburger Scientific Leadership Day nicht nur Speaker zum Recruiting 4.0, sondern auch Zuhörer. Und das habe ich mitgenommen:
Gute Führung geht nicht ohne Wissen darüber, wie der Mensch tickt
Prof. Peter Fischer legte grandios mit einem inhaltlich voll gepackten Statement los. Ja, denn ein Vortrag war das eher nicht. Mit einem Minimum an Folien (die er auch nicht gebraucht hätte), sprach er frei über das Thema Führung und deren Bedeutung in Zeiten der Digitalisierung.
Mein wichtigster Output: Die heute gehypten und von Beratern als heilsbringend titulierten Konzepte zur „Führung 4.0“ sind ein alter Hut. Gibt es alles schon lange und bringt das Thema „Führung“ auch nicht wirklich nachhaltig voran. Prof. Fischer machte deutlich, dass es kein wirklich funktionierendes Führungskonzept gibt.
Harte aber treffende Aussage. Statt dessen entstehen absurde Situationen durch das Anlernen vermeintlich „richtiger“ Methoden. Ergebnis ist, dass Führungskräfte Checklisten abarbeiten: Die oft tatsächlich rhetorische Frage „Wie geht es Ihnen?“, der morgendliche Gang durch die Büros mit aufgesetztem Lächeln oder das Abwickeln von standardisierten Mitarbeitergesprächen.
Die Forschung bestätigt, dass der Mensch seit Jahrhunderten unverändert auf unbekannte Situationen, Unsicherheit, Veränderung, Lob und Kritik bzw. auf Team-Dynamiken reagiert. Das ist auch heute so und natürlich auch in Zeiten der Digitalisierung. Prof. Fischer dazu: „Das menschliche Gehirn hat sich nicht weiterentwickelt.“ Konsequenz ist:
Um erfolgreich zu führen, bedarf es Grundkenntnisse über das individuelle menschliche Verhalten.
Nur so können Führungskräfte die zu erwartenden Reaktionen auf ihr Handeln abschätzen, sich individuell auf den Menschen einstellen bzw. die richtigen Worte finden, um Mitarbeiter zu motivieren.
Diese Erkenntnis müssten sämtliche Führungsfortbildungen sofort gehörig umkrempeln. Aber so effizient, wie die HR-Praxis Forschungsergebnisse ignoriert, ist damit wohl eher nicht zu rechnen.
Wer den Versuch wagen will, sich beim Thema „Führung“ an Forschungsergebnissen zu orientieren, der sollte sich an die Gfeo – Gesellschaft für empirische Organisationsforschung wenden. Da werden Sie geholfen.
Gute Führung geht nicht ohne Daten
Ich habe einen neuen Lieblingsbegriff gelernt: positive Illusion.
Der Mensch neigt dazu, sich Dinge schön zu reden („Ja, Rauchen verursacht Lungenkrebs. Aber bei mir doch nicht.“) Diese Mechanismen funktionieren natürlich auch im Arbeitsalltag. Dysfunktionale Führung ist daher auch immer das Problem der anderen („Also, meinem Team geht es super!“).
Diese Denkmuster sind angeboren und eine notwendige Illusion, um in einer gefährlichen Welt überhaupt agieren zu können. Gleichzeitig sind sie Ursache dafür, dass die meisten Führungskräfte nicht besser werden. Sie nehmen schlicht nicht wahr, dass ihr Team leidet. Dafür kann man Führungskräften im ersten Moment nicht einmal einen Vorwurf machen. Was also tun?
Nur harte Fakten in Form von Daten können daran etwas ändern. Daten über den emotionalen Zustand des Teams werden benötigt, um der positiven Illusion die Realität entgegenzusetzen .
Nur wer den Stress und den Grad der Zufriedenheit bzw. des Commitments seiner Mitarbeiter wirklich kennt, kann die richtigen Entscheidungen treffen.
Nur so kann „gute Führung“ funktionieren.
Ich stelle mir an dieser Stelle die Frage, wer in den Unternehmen „gute Führung“ als Grundlage der Führungsgrundsätze, Auswahlverfahren und Schulungen definiert? Sind das die Guten? Woher wissen wir die das?
Gute Führung geht nur gemeinsam
Vollkommen zustimmen kann ich Prof. Fischer bei seiner dritten Erkenntnis: Führung ist kein einseitiges Geschäft.
Mitarbeiter und Führungskraft müssen sich gemeinsam führen.
Im Sinne der lateralen Führung (auch kein neues Konzept!) fordert die Führungskraft Feedback ein, um besser zu werden. Gleichzeitig nehmen die Mitarbeiter eine aktive Rolle ein und geben dieses Feedback. Es ist die Verantwortung von Mitarbeiter UND Führungskraft, gemeinsam besser zu werden.
Klingt simpel, aber in der Realität steht die Führungskraft alleine in der Verantwortung: Sie soll Entscheidungen treffen und wird bei Fehlern auch alleine bestraft. Die allermeisten Führungsgrundsätze in den Unternehmen und Behörden sehen die Führungskraft als alleiniges Stellglied für „gute Führung“. Dies ist eine vollkommen überzogene Erwartung. Vielleicht ist das der Grund, dass immer weniger Nachwuchskräfte führen wollen.
Dieses falsche Verständnis von Führung hat in meinen Augen 2 Effekte:
- Wenn Führungskräfte alleine die Verantwortung für das Funktionieren des Teams haben, werden sie auch alleine entscheiden und neigen zur Kontrolle. Die Meinungen der Mitarbeiter oder sogar deren eigenständiges Handeln sind gefährlich, denn Fehler fallen auf die Führungskraft zurück. Ergebnis ist Command & Control.
- Mitarbeiter lernen, dass sie nichts tun müssen, damit es ihnen besser geht. Die Führungskraft wird es schon richten. Das ist schließlich ihr Job. Ergebnis ist das unbeteiligte Zurücklehnen der Mitarbeiter, fehlendes Feedback und – wenn ihnen etwas nicht passt – nicht offen vorgetragene Kritik und Rückzug. Aber wie soll eine Führungskraft auf seine Mitarbeiter eingehen, wenn diese nicht sagen, dass es ihnen nicht gut geht?
Beide Effekte verstärken sich gegenseitig. Ich kenne sogar die absurde Situation, dass Führungskräfte regelrecht darum betteln, dass ihnen Mitarbeiter sagen, wie es ihnen geht. Das wird von der Hierarchie auch gerne als Schwäche ausgelegt. Irre.
Wir brauchen also erstens dringend Fortbildungen für Mitarbeiter zum Thema: „Wie lasse ich mich richtig führen“. Mir persönlich ist noch keine Organisation untergekommen, in der es solche Seminare gibt. Zweitens bedarf es grundlegender Anpassungen der Führungsgrundsätze.
Vorher ist auch der inzwischen schon in vielen Unternehmen umgesetzte Versuch, Führungskräfte durch Mitarbeiter bewerten zu lassen, zum Scheitern verurteilt.
Gute Führung geht nur wertorientiert
Prof. Claudia Peus legte mit ihren umfassenden Forschungen zur Führung nach. Ihre Fragestellung lautete, welche Werte die Menschen haben, die gut führen? Interessanterweise hat sie dazu viel von schlechter Führung gelernt.
Konkret kristallisieren sich in der Führungskräftebefragung 2017 folgende Werte bei Führungskräften im Zuge des digitalen Wandels heraus (in dieser Reihenfolge):
- Verantwortung
Bereitschaft und Verpflichtung, für etwas einzutreten; Eigennutz hinter das unternehmerische Interesse stellen
- Vertrauen
gibt dem Gegenüber Sicherheit und ermöglicht ihm Spielräume
- Integrität
Aufrichtigkeit, Prinzipien und konsistente Orientierung an Normen
- Respekt
Wertschätzung und Achtung, Verzicht der Dominanz eigener Denkweisen
- Mut
Sich auf Neues einlassen; Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen; konstruktiver Umgang mit Fehlern
- Nachhaltigkeit
Ausgewogenheit zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen, ökologische und soziale Parameter
Mir persönlich ist „Mut“ in der Reihenfolge zu weit unten, aber grundsätzlich finde ich das eine sehr treffende Auflistung.
Fragt sich nur, wie man misst, inwieweit angehende Führungskräfte diese Wertorientierung aufweisen? Das ist die entscheidende Herausforderung in der Personalauswahl und deutlich schwieriger, als den Obersachbearbeiter zu nehmen oder Führungswille mit „möglichst laut“ in den Assessmentcentern zu verwechseln.
Prof. Peus zeigte sich zudem einigermaßen geschockt über den aktuellen Stand der Führung in den Unternehmen. Während ihrer Forschungen traf sie auf eine erstaunlich hohe Zahl von Narzissten, die auch genau wussten, dass sie nicht gut führen.
Noch faszinierender, dass diese Personen ganz offen damit umgingen. Im Grunde führten diese Karrieristen nur, weil sie dies für ihren Aufstieg benötigen. Solche Personen sind auch für die oben angesprochene Daten zum emotionalen Zustand des Teams unzugänglich. Das perlt ab.
Dass es in den Unternehmen zudem flächendeckend an Konsequenzen mangelt, wenn schlechte Führungskräfte identifiziert wurden, ist nicht nur beeindruckend, sondern auch ein Verstärker dieses Verhaltens. Es gibt also noch viel zu tun.
Die Digitalisierung hat nichts mit guter Führung zu tun
Fazit ist, dass gute Führung datengetrieben ist. Es liegt nicht in der alleinigen Verantwortung der Führungskraft, dass es dem Team gut geht und die Führungskräftefortbildung sollte einen Schwerpunkt auf Wissen zu kognitiven Zusammenhängen legen. Die Entscheidung, wer Führungskraft wird, muss viel stärker auf persönliche Werte abstellen.
Die Erkenntnisse zu guter Führung haben nichts mit der Digitalisierung zu tun.
Das war und ist immer so. Der digitale Wandel mit Phänomenen wie New Work und virtuellen Teams erhöht jedoch die Anforderungen an Führung. Daher wird das Thema gerade gehypt.
Spannende Themen und Erkenntnisse, die Lust auf den nächsten Regensburger Scientific Leadership Day machen.
Wie ist Eure Meinung zur Führung in der Digitalisierung? Ich freue mich über Eure Kommentare.
Viele Grüße,
Stefan Döring
Spannendes Thema, von dem ich glaube, dass es noch viele Irrtümer und unscharfe Begrifflichkeiten für Verwirrung sorgen.
Mit fällt auf, dass Steuerung und Führung nicht unterschieden wird. Weil diese Unterscheidung fehlt werden Vorgesetzte automatisch als Führungskräfte bezeichnet. Mir würde die Bezeichnung „Steuerungskräfte“ eher zusagen. Im Besonderen wenn wir auf eine tayloristisch aufgebauten Organisation schauen. Diese Organisationen sind sehr effizient solange die Steuerung die Lösung für auftretende Probleme kennt.
Führung wir benötigt, wenn die Steuerung die Problemlösung nicht kennt. Wegen der zunehmenden Dynamik, welcher Organisationen heute ausgesetzt sind, treten solche Situationen immer häufiger auf. Jetzt braucht es ein Talent das eine Idee hat, um das Problem zu lösen. Und genau dieses Talent braucht auch die Möglichkeit für dieses Thema in Führung zu gehen.
Führung ist demnach nomadisch und nicht an eine formale Machtposition gebunden. Werden z.B. auf ein Führungskräfte Seminar immer nur die „Steuerungskräfte“ eingeladen, wird versucht das Problem mit seiner Ursache zu lösen. Wer gute Führung sucht, muss dort suchen wo Führung Probleme löst. In der Steuerung nach Führung zu suchen wir eher weniger erfolgreich sein.
Letztlich geht es darum, je nach Problem, zwischen Steuerung und Führung umschalten zu können. Gelingt dieses, sollte sowohl gut Führung als auch gute Steuerung möglich sein.
Hallo Peter,
danke für deine tolle Ergänzung!