Was macht HR erfolgreich? Eine Frage mit besonderer Bedeutung vor dem Hintergrund der Herausforderungen (und Chancen) der Arbeitswelt 4.0. Eine wichtige Diskussion in Zeiten, in denen das Personalmanagement stark in der Kritik steht. Und damit wahrlich keine einfache Frage, der sich der Dialog Personalmanagement am 08. Mai 2015 stellte. Hier erfolgte darüber hinaus noch eine Konkretisierung: „Bewährtes Praktikerwissen oder Forscherweisheiten?“
Was für ein Titel! Klingt ein wenig wie ein Argumenten-Schlagabtausch à la Blind HR Battle. Und tatsächlich war der diesjährige Dialog Personalmanagement eine mit hochkarätigen Referenten aus universitärer Forschung und Managementpraxis besetzte Veranstaltung des Lehrstuhls für Personalmanagement & Organisation der Universität der Bundeswehr. Kernthemen waren Erfolgsfaktoren des HRM und inwieweit Forschung und Praxis dahingehend einen Beitrag leisten.
Eingeladen hatte Professor Dr. Stephan Kaiser in das schön gelegene Universitätscasino in Neubiberg bei München. Und das bereits zur 3. Auflage des Dialogs.
Trotz oder gerade wegen des besten bayerischen Biergartenwetters folgten etwa 60 Teilnehmer der Einladung.
Für die, die nicht dabei waren (oder lieber ins ferne Wiesbaden gereist waren) hier mein Fazit:
Forschung hat kaum Einfluss auf die HR-Praxis
Der Gastgeber eröffnete den Dialog mit der Frage, ob die Praktiker mit Best Practices oder die Wissenschaft mit Forschungsergebnissen wesentlich zur Weiterentwicklung des Personalmanagements beitragen. Dazu stellte Professor Kaiser das Ergebnis eines Studierendenprojektes seines twitternden Lehrstuhls @PmO_UniBW über die Profession der Speaker auf HR-Kongressen, Netzwerktreffen und sonstigen Veranstaltungen der letzten 3 Jahre vor:
- 77% Vertreter aus der Unternehmenspraxis
- 15% Berater und Dienstleister
- 8% aus der wissenschaftlichen Forschung
Ein erstes, klares Indiz, dass die Forschung kaum Einfluss auf die Personalmanagement-Praxis nimmt. Obwohl erst am Nachmittag gehalten, so sei an dieser Stelle der Beitrag von Professor Dr. Rüdiger Kabst der Universität Paderborn erwähnt. Er diskutierte, ob HR mit Bauchgefühl oder mit Evidence-based Management, also Entscheidungen auf der Basis fundierter Ergebnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen, erfolgreich agiert.
Offensichtlich ist es eher das Bauchgefühl, denn nur 1% der Personalmanager lesen wissenschaftliche Artikel. Obwohl selber Forscher, gab Professor Kabst keineswegs den Managern die Schuld daran. Vielmehr ist eine wissenschaftliche Karriere heute auf internationale, stark theoretische Paper ausgelegt – weit weg von einem Praxisbezug. Seine Forderung deshalb: Eine engere Verzahnung von Forschung und Praxis, z.B. mit Studien in Kooperation von Unternehmen und Universitäten. Einen kleinen Tipp gibt Professor Kabst noch: In der PERSONALQuarterly und auch in anderen HR-Zeitschriften findet sich immer auch ein Häppchen empirische Evidenz. Schon entdeckt?
HR ist nicht VUCA – fit
Aber wieder der Reihe nach: Nach der Begrüßung startete der Dialog mit einem Input von Martin Claßen von People Consulting, der den Zuhörern einiges abverlangte, weil er gänzlich auf Powerpoint verzichtete. Trotzdem Gerade darum entwickelten sich seine „Gedanken zu Erfolgsfaktoren im Personalmanagement“ zu einer gelungenen Reflexion von 20 Jahren Berufserfahrung. Er attestierte: Das Personalmanagement ist in zweierlei Hinsicht nicht VUCA-fit : Zum einen bereitet HR das Unternehmen auf das, was da mit dem „Internet der Dinge“ kommt, nicht vor. Zum anderen ist die Personalabteilung dazu aktuell auch nicht in der Lage.
HR läuft häufig Trends hinterher, ohne diese mit dem Fokus auf den Mehrwert für das Unternehmen zu betrachten. Als Beispiel nennt Claßen den Business-Partner, den das Personalmanagement als Rolle und leider nicht als Haltung versteht. In den Personalabteilungen sind dafür vielfach auch gar nicht die richtigen Kompetenzen vorhanden. Wie auch, wenn ein ehrliches internes Performance-Management in der Regel fehlt: Wer bringt HR voran? Wer versteht das Business? Wer ist innovativ? Im Sinne von „First who, then what“ kommt es auf die Identifikation und Weiterentwicklung der Talente in den Personalabteilungen an. Dann kann damit begonnen werden, die Themen der Zukunft anzugehen. In der Realität funktioniert Talentmanagement allerdings anders: Heile Welt und alle werden gleich behandelt. Bloß nicht differenzieren. Das wird auf Dauer aber nicht funktionieren, wenn die Personalabteilung ernst genommen werden will. Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen, die ich hier verbloggt habe.
Eine ehrliche Beschreibung des Ist-Zustands im HRM, mit der Erkenntnis, dass es vor allem an der Qualifikation des Personalmanagers hapert – und das wiederum ist ein klarer Auftrag an die Universitäten.
Small statt Big Data HR
Weiter ging es mit einem Vertreter der Forschung. Professor Dr. Stefan Strohmeier der Universität des Saarlandes zeigte ein umfassendes Bild, was Big Data Analytics ist und welchen Nutzen HR daraus ziehen kann. Von Operational-, und Predictive- über Mobile- bis Collaborative-HR Analytics gibt es viele, praxisrelevante Anwendungen.
Damit wurde auch deutlich, dass mit der Digitalisierung bereits heute Möglichkeiten bestehen, die Georg Orwell zum Optimisten machen. Leider ist die HR-Praxis heute noch eher Small Data.
Neben diesem umfassenden und beeindruckenden Bild über Möglichkeiten der Daten-Analyse im Personalmanagement zeigte der Vortrag zwei Dinge: Zum einen kann die Praxis zu Data Mining und Analytics noch viel von der Forschung lernen. Zum anderen wird das Thema Big Data ähnlich wie das „Fracking“ diskutiert: Mit Unkenntnis und aus einer grundsätzliche Abwehrhaltung heraus. Über die Vorteile – auch für das Individuum – spricht kaum jemand. Aber gerade da liegt die Chance für HR: Mit Daten aus der Forschung für die Praxis und das Individuum einen Mehrwert generieren.
Spannender Input.
Danach konnte das Gehörte beim sehr leckeren Mittagessen und dem anschließenden Netzwerken etwas sacken.
Unsicherheit als Motivator
Dr. Thomas Kagermeier eröffnete den Nachmittag mit dem Thema: „Erfolgsinstrumente gegen Unsicherheiten in der Mannschaft“. Wesentliche Erkenntnis ist, das HR die Unsicherheit der heutigen Zeit auch als Chance begreifen soll.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
HR hinkt hinterher
Anschließend sprach Dr. Walter Jochmann von Kienbaum Consultants International über die Rolle von „HR-Consultants als Mediatoren für erfolgreiches evidenzbasiertes Management“ mit der Erkenntnis, dass sich Personalabteilungen heute Beratung zu Themen wünschen, die die Forschung schon vor mehr als 20 Jahren diskutiert hat. Die ist heute bereits viel weiter. Als Beispiel nannte er die Balanced Scorecard und erneut das Business Partner Modell. Dies führt dazu, dass die dringenden HR-Handlungsfelder vom Personalmanagement und den anderen Professionen im Unternehmen unterschiedlich beurteilt werden. Es besteht die Gefahr, dass HR an den Kundenwünschen vorbei agieren. Ein durchaus auch selbstkritischer Beitrag.
Erfolgsfaktoren HR
Nach weiteren Beiträgen schloss der Dialog mit einer Podiumsdiskussion, die schnell für Fragen aus dem Publikum geöffnet wurde. Leitfrage war, was HR und Forschung aus dem Gehörten lernen können:
- HR als Intrapreneur
Einigkeit bestand über die zentrale Herausforderung des Personalmanagements, nicht einfach Trends zu folgen, sondern dabei immer den Mehrwert für das Unternehmen im Blick haben. Weitere Forderungen an HR: Nicht Veränderungen vom Ende her verwalten, sondern auf den Fahrersitz setzen und lenken. Weg vom Business Partner – hin zum Intrapreneur.
- Glaubwürdigkeit
Das Personalmanagement soll aufhören, aus falsch verstandenem Exzellenz-Gedanken heraus eine Fachsprache zu pflegen, die Mitarbeiter und Führungskräfte als Kunden nicht verstehen. Und ohne Digitalisierung der HR-Prozesse kann das Personalmanagement auch nicht glaubhaft Treiber des „Internets der Dinge“ im Unternehmen sein.
- Qualifikation
Aus dem Publikum kam die kritische Sicht von Professor Dr. Marr auf den Bologna-Prozess an deutschen Hochschulen: Es fehle heutzutage vor allem an der kritischen Reflexion der Studenten. Daraus leitet sich der Auftrag an die Universitäten ab, neben verschulter Wissensvermittlung auch verstärkt Praxisprojekte anzubieten. Die anwesenden Professoren erläuterten einige Beispiele, wo dies bereits gelingt.
- Performance-Management
Professor Kabst warf einen interessanten Aspekt auf: In der Wissenschaft gibt es relativ klare Kriterien zur Bewertung von Forschungsleistungen. Im HRM gibt es solche Kriterien für gute Personalarbeit nicht. Ein Auftrag an die Praxis, hier Transparenz zu schaffen. Dazu passt ein Statement von Vizeadmiral Joachim Georg Rühle vom Bundesministerium der Verteidigung: HR hat zu wenig Konstanz und zu hohe Fluktuation. So kann niemand erfolgreich sein.
Was bleibt vom Dialog Personalmanagement 2015?
Am Ende des Tages konnte die Frage „Was macht HR wirklich erfolgreich?“ nicht abschließend beantwortet werden. Das war auch nicht zu erwarten gewesen. Zu den Themen digitale Transformation, Rolle von HR und Big Data hat der Dialog aber einen wichtigen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis angestoßen. Damit ist dieser Beitrag auch Teil der Blogparade #ZukunftHR.
Sowohl Forschung als auch Praxis wurden mit einer Reihe von Denkansätzen und Arbeitsaufträgen entlassen. Ich habe jedenfalls wertvollen Input mitgenommen, den ich unter #dialogpersonal15 auf Twitter geteilt habe.
Insgesamt eine mehr als gelungen Veranstaltung und ein echter Geheimtipp unter den HR-Events. Ich freue mich auf den Dialog Personalmanagement 2016. Es lohnt sich!
Stefan Döring
Dieser Beitrag erschien zuerst auf personalblogger.net