Wenn Henrik Zaborowski und Winfried Felser zur Blogparade aufruft, dann wird es spannend. Was da von Henrik, Guido Bosbach und Jo Diercks bislang zu #NextRecruiting17 geschrieben wurde, ist überaus lesenswert.
Bei dem, was das Recruiting morgen bestimmen wird, stelle ich mir die Frage, was der Personaler dafür können muss. Was macht die Professionalität des #NextRecruiters aus? Mit meinem Beitrag versuche ich, Antworten darauf zu geben.
Recruiting der Zukunft
Viel wird dieser Tage über die Zukunft der Personalgewinnung geschrieben. Auf der einen Seite sind es Daten, Algorithmen, Suchmaschinen und Suchbegriffe, das Matching oder die Frage, ob der Computer besser auswählt als der Mensch. Auf der anderen Seite wird über Menschlichkeit, den Servicegedanken und Individualität geschrieben. Die 4 langen Linie der Personalgewinnung von Jo Diercks bringt diese Diskussion sehr gut auf den Punkt.
Vielleicht würde ich noch „Digitalisierung“ ergänzen als Zeichen dafür, dass Ausschreibung, Bewerbung, Ansprache und der gesamte Recruiting-Prozess morgen noch viel stärker digital ablaufen, abgebildet und dokumentiert werden wird. Die Zeiten der „Verfahrensakten“ in Papier scheinen mir genauso wie die Post-Bewerbung von gestern zu sein. Ja, auch im öffentlichen Dienst, auch wenn man das dort heute noch nicht wahrhaben möchte. Zwar mag der Bewerber die postalische Bewerbung sehr wohl, diese wird doch aber flugs digitalisiert und in das BMS gepresst.
Die Spannbreite der Zukunftsthemen ist also sehr breit. Was muss der Recruiter von morgen nun also dafür alles können?
Mit dieser Frage möchte ich auf das Konstrukt Professionalität näher eingehen, welches mit Bezug zum Personalmanagement bereits Mitte der 90iger wissenschaftlich diskutiert wurde.
Expertenwissen im Recruiting
Einleuchtend ist zunächst, dass ein Merkmal der Professionalität das Expertenwissen im Sinne theoretisch fundierter Fähigkeiten und Fertigkeiten ist. Dieses wird durch Schulung und Ausbildung, die nicht jedem zugänglich sind und mit einer Prüfung enden, vermittelt. Vom Recruiter von morgen wird dahingehend viel verlangt:
- Neben betriebswirtschaftlichen und psychologischen sind vor allem arbeits- und datenschutzrechtliche Kenntnisse von Nöten.
- Die Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien ist obligatorisch, obwohl ich nicht so weit gehen würde, dass jeder Recruiter selber programmieren können muss. Dass er morgen die dortigen Prinzipien versteht, scheint mir aber naheliegend.
- Angesprochen werden im Zusammenhang mit der Personalgewinnung vor allem wissenschaftlich abgesicherte Methoden in der Diagnostik und Personalauswahl, die aber nicht pauschal „von der Stange“ eingesetzt werden, sondern einer individuellen Anpassung auf das jeweilige Unternehmen und die Zielgruppe erfordern.
- Natürlich sollten Erkenntnisse über die Zielgruppe, über deren Präferenzen und die Kanäle, in denen sie sich informieren, vorhanden sein. Für mich ein klares Indiz weg vom Allrounder hin zum Zielgruppenspezialisten im Recruiting.
- Neben Fachkenntnissen sind weitere „weiche“ Kompetenzen für die im Recruiting Handelnden notwendig: Es bedarf vor allem Kommunikations- und Verhandlungsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Einfühlungsvermögen bis hin zur wenig fassbaren Menschenkenntnis, die Fähigkeit, Beziehungen langfristig aufzubauen und zu pflegen sowie Empathie.
- Wer mich kennt, weiß, dass für mich Personalmanagement eine Dienstleistung ist. Das gilt uneingeschränkt für das Recruiting. Dienstleistungs- und Qualitätsmanagement wird damit nicht nur Bestandteil, sondern Basis einer Ausbildung im Recruiting. Es bedarf zudem der Fähigkeit zum Prozessmanagement, um effizient zu arbeiten.
- Angesichts der oben genannten Veränderung des Recruitings ist letztlich eine nachhaltige und institutionalisierte Rollen-Reflexion auf Basis neuen Wissens erforderlich. Gemeint ist die Fähigkeit des Recruiters, seine Arbeit laufend zu beobachten, zur Disposition zu stellen und weiter zu entwickeln.
Professionelles Recruiting – Die Realität und der Blick in die Zukunft
In der Praxis lassen sich heute bezüglich einer solchen Professionalität im Personalmanagement mehrere Problematiken attestieren, die sich zukünftig noch verstärken werden:
Es bedarf eines Dienstleistungsverständnisses
Gerade im Recruiting bedarf es einer Entscheidung, für wen ein solcher Service erbracht wird. Für die Unternehmensleitung, die ihre strategischen Ziele durch ausreichend Personal verwirklichen will? Für die Führungskraft, die die Vakanz schnell mit optimalen Know-How besetzen will? Für die Mitarbeiter, die sich einen neuen Kollegen wünschen, der ins Team passt? Oder vielleicht doch für den Bewerber?
Die Antwort darauf muss kein entweder/oder sein. Sie ist aber entscheidend, denn sie bestimmt, wann Recruiting erfolgreich ist: Für die Unternehmungsleitung reicht (leider oft) die Feststellung: „Stelle besetzt“. Die Führungskraft bekommt den fachlich am besten geeigneten Bewerber, die Kollegen den mit dem höchsten Cultural Fit. Ist der Bewerber Kunde, geht es um die Candidate Experience.
Leider ist aktuell die Frage nach den Kunden anhand der Bewerbermanagementsysteme der Unternehmen sehr einseitig nachzuverfolgen: Nur selten wird es dem Bewerber da möglichst einfach und komfortabel ermöglicht, seine Bewerbung einzugeben. Viel öfter bedarf es einer Registrierung (die mal eben 50% der Interessierten zum Abbruch „motiviert“) und eines komplizierten Hochladens der Unterlagen (bitte nur 1 Dokument mit maximal 2 MB) natürlich mit gleichzeitiger Eingabe der dort sowieso schon erfassten Daten. Auch ist immer wieder faszinierend, welche Fragen gestellt werden. Man will da doch eher die Noten wissen, statt Fragen zur kulturellen Passung zu stellen. In der Realität ist der Bewerber Bittsteller, HR optimiert seine Administration und Kunde ist – ja wer eigentlich?
Die Frage nach dem Kunden ist für die Zukunft der Recruitings genauso wichtig wie spannend und ich prognostiziere hier einen Wandel hin zum Bewerber.
Es braucht Werte, nach denen Recruiter handeln
Professionalität in der Personalgewinnung bedeutet deutlich mehr als Kenntnisse, Kompetenzen und Erfahrungen. So ist eine Profession berufsständisch organisiert und vor allem existieren berufsethische Normen. Die Frage lautete daher auch, welche Normen und Werte im Recruiting der Zukunft vorherrschen?
Ehrlichkeit wäre zum Beispiel toll! Angesichts dessen, dass nirgends so viel gelogen wird, wie in Stellenanzeigen (außer in den Motivationsschreiben). Auch heutige Employer Branding Kampagnen sind leider oft weit weg von der Realität und ihre Aussagen eher „alternative Fakten“. Und zur Ehrlichkeit in Absageschreiben möchte ich hier gar nichts weiter schreiben, außer: „Sad, so sad.“
Aber hier geht es um das Recruiting der Zukunft, also besteht erneut ein klarer Auftrag an ein professionelles HR: Ich würde mich sehr freuen, wenn das #NextRecruiting hier zu einem einheitlichen Standard käme. Neben Ehrlichkeit gäbe es da Vertraulichkeit und wertschätzender Umgang mit dem Individuum auf Augenhöhe. Vor allem die zunehmende Nutzung von Daten im Recruiting oder das Active Sourcing benötigen ein Höchstmaß von moralischem Handeln.
Recruiter müssen sich organisieren
Der Organisationsgrad der Berufsgruppe ist eher gering. Obwohl BPM oder DGFP (wieder) einiges tun, braucht es vielleicht niederschwellige (und billigere) Angebote, um einen Berufsstand der Recruiter zu etablieren. Dieser ist ebenfalls ein Zeichen von Professionalität. Da verweise ich gerne auf Workdate mit dem Aufruf: Recruiter vernetzt euch!
Der Stand der wissenschaftlichen Forschung muss nachvollzogen werden
Das dem so nicht ist, zeigt die heute noch weit verbreitete Personalauswahl mit untauglichen Methoden. Ja sogar Fotos und die Farbe der Bewerbungsmappe sind immer noch Selektionskriterien. Hier gibt es einiges nachzuholen.
Im Sinne einer Professionalisierung bedarf es Standards in der Ausbildung
Recruiting kann irgendwie jeder – so scheint es. Bislang ist es keiner Universität oder Einrichtung gelungen, einen Standard zu definieren. Für ein professionelles #NextRecruiting bedarf es einer Übereinkunft über ein Mindestmaß an erlerntem Wissen und erworbener Erfahrung in Wissenschaft und Praxis. Die Fähigkeit zur HR-Trendforschung und die daran anknüpfende Herausarbeitung neuer und besserer Recruiting-Services ergänzen die Ausbildung.
Fazit
Insgesamt ist festzuhalten, dass eine Professionalisierung im Personalmanagement im Sinne des Recruitings von morgen kritisch zu sehen ist. Dies alles ist wiederum eine Ursache dafür, dass den Recruitern keine Professionalität zugerechnet wird und der Berufsstand insgesamt regelmäßig schlechte Noten bekommt.
Wenn wir also über #NextRecruiting17 sprechen, müssen wir auch über die Professionalisierung der Recruiter hinsichtlich Fachwissen, Ausbildung von Normen in der Personalgewinnung, Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis, Dienstleistungs- und Qualitätsverständnis sowie Etablierung eines Berufsstand nachdenken.
Ich freue mich über Eure Kommentare, Kritik und natürlich weitere Beiträge der Blogparade
Stefan Döring
Etwas Lesestoff zum Thema Professionalisierung: Wächter, H., Metz, T. (Hrsg.) (1995), Professionalisierte Personalarbeit? Perspektiven der Professionalisierung des Personalwesens, Sonderband der Zeitschrift für Personalforschung
Dieser Blog-Post erschien zuerst auf personalblogger.net